Vortrag von Prof. Dr. Jens Kreinath im EU-Parlament zur Lage in Syrien

Vortrag von Prof. Dr. Jens Kreinath im EU-Parlament zur Lage in Syrien: Kriegsverbrechen an Alawiten und sonstigen religiösen Minderheiten – Empfehlungen für eine minderheitenschützende Zukunft
Autor des Artikels: Hüseyin Barış Öztürk
Artikel veröffentlicht auf Alevi-Portal am 14.10.2025
Prof. Dr. Jens Kreinath hat am 09. Oktober 2025 im Europäischen Parlament eine Rede zu den jüngsten Massakern in Syrien, insbesondere an den Alawiten und den Drusen, gehalten.
A- Zum Vortrag im EU-Parlament
In seinem Vortrag vor 55 EU-Parlamentariern rief Kreinath kurz die politische Situation in Erinnerung: Beginnend mit dem Sturz von Bashar al-Assad am 8. Dezember 2024, dem darauffolgenden rapiden Zusammenbruch des Assad-Regimes, der Zunahme der Eskalation von Gewalt, die Anfang des Jahres 2025 in „gezielte Angriffe auf alawitische, christliche und drusische Gemeinschaften“ mündete und den Konflikt verschärfte.

Charles de Meyer
Alawiten und Drusen würden besonders ins Visier genommen, weil sie als Abtrünnige und Ketzer angesehen würden, die das Haus des Islam verlassen hätten; man behandle sie wie Tiere. In Bezug auf Christen gebe es unerbittliche Versuche, sie zur Konversion zum Islam zu bewegen. Ihre – nach den Massakern in Latakia und Suweida – zurückgebliebenen Leichen seien verstümmelt, verbrannt und im Freien liegen gelassen worden, „wo sie verwesen und von Tieren gefressen wurden“.

Charles de Meyer
Kreinath schilderte, basierend auf Vor-Ort-Interviews sowie sonstigen Dokumentationen seines Instituts, einige Gräueltaten folgender dreier Verbrechen: Das Massaker vom 7. März 2025 an der alawitischen Zivilbevölkerung in den Küstenregionen, den abscheulichen Selbstmordanschlag vom 22. Juni 2025 in der Mar-Elias-Kirche in Damaskus, bei dem es zahlreiche Todesopfer und Verletzte gab, sowie die militärische Belagerung von drusischen und christlichen Gemeinschaften in Suweida Mitte Juli 2025.
Sodann zeigte Kreinath die Folgen der Verbrechen gegen religiöse Minderheiten auf: Insbesondere der Bevölkerungsrückgang sowie Vertreibung, die anhaltende systematische Diskriminierung, Enteignungen und die Zerstörung der Lebendgrundlagen. Gegen Ende seiner Rede zeigt er Lösungsvorschläge auf und appelliert an die EU-Parlamentarier: „Aufgeschobene Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit. Und Schweigen angesichts solchen Leids ist eindeutige Mittäterschaft. Nur wenn die Stimmen der Opfer gehört werden, kann Gerechtigkeit hergestellt werden. Sie entscheiden, wo das Schweigen endet und die Gerechtigkeit beginnt.“
Die Rede im Europäischen Parlament als PDF herunterladen:
B – Zum Resolutions-Entwurf
Zudem hat Kreinath im Namen seines Instituts („Institut zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen gegen religiöse Minderheiten in der Levante“; IDHRV-ARMIL) einen Resolutions-Entwurf für Syrien vorgelegt. Darin sind Empfehlungen aufgeführt, die das Europäische Parlament bzw. der Menschenrechtsrat aussprechen soll.
So z.B. die Etablierung von rechtsstaatlichen Strukturen mit dem Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit in ganz Syrien. Einen Weg dorthin sieht Kreinath durch Ausrichtung des eigenen Völkerrechts des syrischen Staates bspw. am Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag. Denn derzeit kann der IStGH zur Aufarbeitung von Massakern an der alawitischen Bevölkerung Anfang März 2025, aber auch an den Drusen und Christen, grundsätzlich nicht tätig werden. Syrien hat sich nämlich nicht der Gerichtsbarkeit des IStGH unterworfen.
Einen Weg zur nationalen Aussöhnung sieht Kreinath in der Einrichtung einer „Wahrheits- und Erinnerungskommission“ für etwa anderthalb bis zwei Jahre. Neu sind solche Kommissionen nicht. Weltweit berühmt geworden und in Erinnerung geblieben sind die „Wahrheits- und Versöhnungskommission“, die von 1996 bis 1998 in Südafrika tätig war, um die politisch motivierten Verbrechen des Apartheid-Regimes aufzuarbeiten, oder die sog. „Valech-Kommission“, die von 2001 bis 2004 die Menschenrechtsverletzungen, die während der chilenischen Militärdiktatur (1973–1990) untersuchte.
Eine pauschale Amnestie für Verbrechen wie Mord, Folter, sexuelle Gewalt oder ethnische Säuberungen lehnt Kreinath im Rahmen der gesellschaftlichen Versöhnung jedoch kategorisch ab.
In Bezug auf die religiösen Minderheiten (Alawiten, Christen, Drusen usw.) soll die Arabische Republik Syrien aufgefordert werden, ein „Gesetz über Religionsfreiheit und Antidiskriminierung zu verabschieden, um den Schutz von Kultstätten, die Freiheit der Religionsausübung und Bestattungsriten im Einklang mit kulturellen Traditionen“ zu garantieren.
Weitere Empfehlungen betreffen die Meinungsäußerung, den Umgang mit Medien, Kultur und Bildung …
Im Resolutions-Entwurf ist der Blick stets auf den Schutz von religiösen Minderheiten gerichtet. So sollen westliche Nationen beim Wiederaufbau des Landes den Schutz von Minderheiten als eine der zentralen Säulen des Aufbauprogramms berücksichtigen.
Den Resolutions-Entwurf als PDF herunterladen:
C – Kurz zur Person Jens Kreinath
Jens Kreinath (*1967) ist Associated Professor am Department of Anthropology an der Wichita State University, in Kansas (USA).
Er ist Verfasser von Standardwerken wie z.B. The Anthropology of Islam Reader. Und hat diverse Aufsätze zu alevitischen Themen verfasst, so z.B. „Dynamics of Ritual Reflexivity in the Alevi Cem“ (Dynamik der rituellen Reflexivität im alevitischen Cem).
Im Juli 2025 hat er im Bundesstaat Kansas (USA) ein gemeinnütziges Institut gegründet, um die Verbrechen in Syrien für die juristische Aufarbeitung zu dokumentieren:
“Institute for the Documentation of Human Rights Violations against Religious Minorities in the Levant (IDHRV-ARMIL) Inc.” (dt.: „Institut zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen gegen religiöse Minderheiten in der Levante“).
Zuvor war er Vorsitzender des am 12.04.2025 in Mannheim gegründeten Vereins
„GESELLSCHAFT für MENSCHENRECHTE in SYRIEN“ (SURİYE İNSAN HAKLARI DERNEĞİ / Association for Human Rights in Syria).
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